Jede gute Pflegekraft wird in Deutschland mit dem Taxi abgeholt

Unter dem Motto „Gute Pflege – eine Frage der Einstellung?“ lud der DGB Kreisverband Weilheim-Garmisch den bekannten Sozialarbeiter und Buchautor, Claus Fussek, nach Penzberg ein. Im Mittelpunkt standen die Lebens- und Arbeitsbedingungen in Pflegeheimen. Unter den Besuchern der Veranstaltung waren auch zahlreiche Personen, die in der Pflege arbeiten.

Fussek ist im Münchner ambulanten Beratungs- und Pflegedienst „Vereinigung Integrationsförderung“ tätig. Er kritisiert das derzeitige Pflegesystem. Jeder wird früher oder später mit dem Thema betraut sein. „Es ist niemand in diesen Beruf gegangen“, so Fussek, „um im Akkord zu arbeiten.“ Immer wieder wird berichtet, dass das Geld für die Pflege fehlt. Viele treten in den Medien auf und fordern von den verantwortlichen Politikern, die gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen, mehr für die Pflege zu tun. Für die Pflege ist zu wenig Geld da. Alle Pflegeheime bekommen den gleichen Pflegesatz. „Es gibt keine Ausreden mehr – menschenwürdige Pflege ist schon jetzt machbar und bezahlbar“, so Fussek.

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Viele wissen Bescheid und unternehmen nichts.

Er berichtete an diesem Abend über negative und positive Beispiele, denn „es geht selbstverständlich auch anders“. Verantwortlich in den Pflegeeinrichtungen sind die Pflegekräfte, aber auch die Ärzte, die dort ihre Patienten betreuen. Alle Probleme in der Pflege sind hausgemacht. Claus Fussek geht seit vielen Jahren mit einem „Forderungskatalog auf Tournee“. Fussek forderte alle Beteiligten auf, z. B. die Angehörigen, Pflegekräfte, Lokalpolitiker und Pfarrer, die diese Einrichtungen ständig nicht ankündigt besuchen, „nicht mehr zu schweigen.“ Besucher sind ein „Frühwarnsystem“. Nur wer als Angehöriger regelmäßig kommt, sieht etwas. „Viele wissen Bescheid und unternehmen aber nichts.“

Bei diesem Infoabend war auch die erste Bürgermeisterin der Stadt Penzberg, Elke Zehetner, anwesend. Sie bat alle, wie bei der Flüchtlingshilfe, als Ehrenamtliche aktiv zu werden und in die Senioreneinrichtungen unserer Stadt zu gehen. Claus Fussek schlug vor, als Lesepaten die Pflegeheime zu besuchen um beispielsweise aus der Zeitung vorzulesen.

Er berichtete von einer Dame, die in München in einem Pflegeheim lebt und 99 Jahre alt ist. Sie ist fast bettlägerig und nur deshalb, weil niemand mit ihr spazieren geht. Das Pflegepersonal will, dass alle Bewohner bereits um 18:00 Uhr ins Bett gehen. Schließlich muss die Station um 18:00 Uhr an die Nachtwache übergeben werden. „Wer will schon um 18:00 Uhr ins Bett gehen? Wieso kann das sein?“, so Fussek. Es ist niemand da, der sich um die Dame kümmert. „In guten Pflegeheimen liegen nur die um 18:00 Uhr im Bett, die krank sind.“ Sind in einem Seniorenheim viele mit einem Rollator unterwegs, ist das gutes Zeichen. Schlechte Einrichtungen erkennt man als Außenstehender daran, wenn das Blumenwasser im Zimmer bereits stinkt. Manchmal ist die Mund- und Zahnpflege „auch ein Fremdwort.“ In solchen Einrichtungen sind die Pflegekräfte bereits ausgebrannt.

Oftmals werden Auszubildende in Pflegeheimen alleine schon für Nachtwachen eingeteilt. Es gibt keine Supervision. Obwohl die Pflegeschule das weiß, wird es geduldet. „Das ist der blanke Wahnsinn“, so Fussek. Die Verantwortung tragen hier die Pflegeschule und die Pflegeeinrichtung. Heimleiter dürfen sich hier nicht aus der Verantwortung stehlen. In guten Heimen werden Auszubildenden gehegt und gepflegt, wenn sie ihre Ausbildung beendet haben. Bei der Abschlussfeier sind die Chefs da.

Claus Fussek warnte die Besucher, gute Pflegekräfte vor den anderen Kollegen zu loben. „Das führt in vielen Fällen dazu, dass sie im Anschluss gemobbt werden“, so Fussek. In einem positiven Heim braucht man keinen Betriebsrat. In einem guten Pflegeheim gibt es für die Mitarbeiter eine psychologische und seelsorgerische Begleitung. Mittlerweile gibt es in Deutschland einen Pflegenotstand, was die Personalgewinnung betrifft. Claus Fussek: „Eine gute Pflegekraft wird mit dem Taxi abgeholt.“ Sehr oft schicken die Agentur für Arbeit oder das Jobcenter die schlechtesten Mitarbeiter zu den Arbeitgebern. „Wer nicht im Tierpark arbeiten will“, so Fussek, „geht ins Altenheim zum Arbeiten. Das ist überhaupt nicht in Ordnung.“

Fussek appellierte am Ende: „Bürger besucht die Heime in Eurer Stadt.“

Foto & Text: Michael Schmatz